Dienstag, September 10, 2013

BARDINALE Programm




12.-15.9. 2013
BARDINALE „Europa ist ein unvollendetes Gedicht“

Europa befindet sich heute in einer Krisensituation, in der die wirtschaftlichen Entwicklungen Unzufriedenheit und Zweifel am Grundkonzept der europäischen Einigung aufkommen lassen. Man streitet darüber, ob sie zwangsläufig zur Einbuße von nationalstaatlicher Souveränität und kultureller Vielfalt führt oder einen Zugewinn an neuen Impulsen und Spielräumen bietet.
Wir möchten im Rahmen der BARDINALE der Frage nachgehen, wie die Dichterinnen und Dichter Europas an der Vernetzung der Kulturen teilnehmen, wie sie die Entwicklungen literarisch und publizistisch reflektieren und ob sie darauf setzen, dass Literatur zu mehr Wissen über den Nachbarn beitragen und Brücken zwischen Menschen bauen kann. Ein besonderer Fokus wird auf die Poesie der Sinti und Roma gelegt. Darüber hinaus gibt es Vorträge und Debatten zu Europa sowie Einblicke in das europäische Kulturleben Dresdens.


Prolog

24.7., 11-18 Uhr
Graffiti-WorkshopEuropa ein Gesicht geben
Ideenaustausch, Skizzenentwürfe und Umsetzung einer Gruppenarbeit unter der Leitung von Sarah Reinke

Hauptprogramm

12.9., 20 Uhr
 Europa und die Nationalstaaten“, Gespräch und Lesung mit György Konrád, Moderation Michael Hametner (MDR Figaro)
Anschließend Sektempfang
Eintritt 6 € / erm. 4 €

13.9., 10 Uhr
Hans-Erlwein-Gymnasium Dresden
School meets Poetry
10 europäische Dichter treffen auf 100 Dresdner Schüler mit denen Poesieobjekte und Textinszenierungen gestaltet, Poesiefilme gedreht, Gedichte besprochen, neu geschrieben und übersetzt werden.

13.9., 20 Uhr
 Die Erfindung Europas I
Moderierte Kurzlesungen in Originalsprache, deutsche Übersetzungen werden eingeblendet. Aris Fioretos (SE/GR) mit Marcel Beyer (DE), Cornelia Marks (DE) für BA/RS, María García-Eloy (ES) mit Udo Kawasser (AT), Nora Nadjarian (CY) mit Tanja Dückers (DE)
Im Anschluss Konzert mit pianocello (Almuth Schulz und Juliane Gilbert)
Eintritt 6 € / erm. 4 €







14.9., 11–15 Uhr
Hotel Europa“ mit Poesiepark
Dresdner Autoren, Kulturvereine, Künstler, Musiker und Schauspieler verwandeln Villa und Garten in ein „Hotel Europa“. Neben Kurzlesungen, Vortragssets und Musik gibt es eine Ausstellung zur Poesie der Romvölker und Pecha Kucha-Präsentationen.
Durch das Programm führt Mike Zaka Sommerfeldt als Prof. T. Saurusder gute Geist der Villa Augustin.

Aussteller im Poesiegarten: Unabhängige Schriftsteller Assoziation Dresden e.V., Netzwerk Asyl Migration Flucht Dresden, KAMA e.V. in Gründung, RockYourLife! Dresden e.V., Deutsch-Bulgarische Gesellschaft Dresden e.V., Kinder- und Elternzentrum Kolibri e.V., Dresdner Literaturner e.V., Deutsch-Britische Gesellschaft Dresden e.V., SIGNUM Blätter für Literatur und Kritik
Einzellesungen: Uta Hauthal, Erich Sobeslavsky, Olaf Stoy und Norbert Weiß sowie die Dresdner Literaturner
Musikalische Unterstützung durch die Band ZIGANIMO

Programm im Lesecafé:
Kurze Lesesets europäischer Weltliteratur mit Uta Hauthal und Regina Felber
Kino im Autorenbüro
13 – 14 Uhr Pecha Kucha – ein im Literaturbetrieb noch unbekanntes Präsentationsformat – mit: Nina Gummich, Nadine Quittner, Francis Mohr, Heike Liebsch, Wolfgang Melzer, Hennig H. Wenzel, Lars Hitzing und Bernd Hutschenreuther

Eintritt frei

14.9., 16 Uhr
Vortragslesung zur Literatur der Roma und Sinti mit Jovan Nikolić. Einblicke in Denken und Gedächtnis im nomadischen Leben der Roma, in der die traditionell orale Literatur der Roma wurzelt. Zudem werden Probleme der wissenschaftlichen Forschungsliteratur über Roma und die einflussreichsten Roma-Autoren beleuchtet.

Moderation Jan Valk
Eintritt 6 €/ erm. 4 €

14.9., 20 Uhr
Die Erfindung Europas II
Moderierte Kurzlesungen in Originalsprache, deutsche Übersetzungen werden eingeblendet. Kateryna Babkina (UA) mit Uta Hauthal (DE), Jovan Nikolić (DE/RS) mit Jan Valk (DE), Beqë Cufaj (DE/Kosovo) mit Egon Ammann (CH/DE), Lidija Dimkovska (SI/MK) mit Alexander Sitzmann (AT), Akos Györffy (HU) mit Julia Schiff (DE)
Eintritt 6 € / erm. 4 €

15.9., 11 Uhr
KontroVers
Autorendebatte „Europa oder Chaos?“ - Ulrich Schacht und Hans Christoph Buch
diskutieren über die Werte Europas. Moderation Michael Hametner
Eintritt 6 € / erm. 4 €


Veranstaltungsort: Literaturhaus Villa Augustin, Antonstr. 1 am Albertplatz

Nähere Informationen unter www.bardinale.de
oder in der Geschäftsstelle unter Tel. 0351 8045087

Jovan Nikolić - Essay und Vita




Jovan Nikolić

 
Jovan Nikolić (* 1955, Serbien) wuchs in einer Roma-Siedlung auf. Erste Veröffentlichung von Gedichten 1977. Zahlreiche Lyrikbände, Theaterstücke, Libretti und politische Satiren in serbokroatischer Sprache.
Seine Komödie "Die große serbische Erektion" von 1990 ist Beginn fortgesetzter Kritik an der Politik Jugoslawiens. Sie führt 1999 ins deutsche Exil und seine neue Heimat Köln. Beachtung auf deutscher und internationaler Ebene fand er als Koautor des vom Romatheater Phralipe uraufgeführten Dramas "Kosovo mon amour". Popularität erlangte der Songtext „Bubamara“ für den Film von Emir Kusturica "Schwarze Katze - Weißer Kater". Seit 2002 ist er stellver-tretender Vorsitzender des Internationalen Romani Schriftstellerverbands IRWA. Nikolic lebt in Köln. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören „Weißer Rabe, schwarzes Lamm (2006), „Zimmer mit Rad, Gedichte und Prosa“ (2004) „Seelenfänger, lautlos lärmend. Kurzprosa“ (2011).

Sein Essay schildert auf amüsante Weise familiäre Streitgespräche über Europa.
Übersetzung: Cornelia Marks



Die gestörten demokratischen Verhältnisse in meiner Familie


Jovan Nikolić



Schon seit geraumer Zeit erklärte ich meinen Verwandten, dass ich nicht mehr jedes Mal, wenn ich nach Belgrad komme, um Urlaub zu machen, an unseren Debatten teilnehmen möchte, sollte Politik das Thema sein. Nach diesen Gesprächen reden wir mindestens eine Woche lang nicht miteinander. Und dann versöhnen wir uns eilig, kurz vor meiner Abreise. Das letzte Mal begann es damit, dass mein Vater nach dem Mittagessen unerwartet verkündete: - Ich glaube an keine Europäische Union. Denkt ihr etwa, die USA würde die Entstehung noch eines wirtschaftlichen Gegenspielers erlauben, neben China, Russland und Indien?


Sei nicht so streng, - meldete sich Mutter zu Wort – das wird zur Entwicklung der Demokratie und der Solidarität in der Welt beitragen.

Was für eine Demokratie, zum Teufel – rief Vater aus – für die europäische Demokratie ist ein europäisches Volk erforderlich, es existiert kein europäisches Volk, es existieren nur nationale Staaten in Europa.

Gut, - musste ich mich einmischen – aber es werden die Prinzipien moralischer Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit weiterentwickelt, dies ist eine der europäischen Ideen, wenn ich mich nicht irre. Außerdem stellt das Modell der Europäischen Union eine Sicherheit dar, dass nie mehr europäische Länder gegen einander Krieg führen werden.

In der Tat werden sie nicht einander bekriegen, eine Krähe wird der anderen kein Auge aushacken – schrie Vater mir mitten ins Gesicht – sie führen jetzt ausschließlich gegen Andere Krieg. Wurde etwa nicht Serbien mit 7 Millionen Einwohnern wegen eines einzigen Diktatoren bombardiert? Serbien ist ebenso, von jeher, ein Teil dieses Europas. Und von welchen moralischen Prinzipien ist die Rede, alle europäischen Regierungen werden von den Banken und den multinationalen Gesellschaften, ist das klar? Erzähl mir nichts von sozialer Gerechtigkeit, jetzt, da die Anhäufung des Profits auf Seiten der Elite stattfindet, und die immer größer werdende Armut des Volkes auf der anderen Seite ihren Höhepunkt erreicht hat. Weiter geht es nicht mehr.

Da meldete sich Großvater – In den USA besitzen 400 Leute genauso viele Reichtümer wie eine Hälfte der Einwohner. Das habe ich in der Zeitung gelesen, ich erinnere mich weder, in welcher, noch, wann.

Mir gefällt die Idee trotzdem, dass es keine Visa mehr gibt, dass die Grenzen verschwinden und eine gemeinsame Währung eingeführt wird – fügte Mutter hinzu.

Die Europäische Union, wie wir sie bis vor ein-zwei Jahren kannten, gibt es nicht mehr – schaltete sich auch meine Schwester in die Diskussion ein – sie hat sich so schnell vor unseren Augen verändert, dass es uns nicht gelang, auch nur irgend eine ernsthafte Veränderung zu bemerken.

Sehr interessant – musste ich entgegnen – und wie ist es dir, bei einer solchen Geschwindigkeit, gelungen, diese Veränderung zu bemerken?

Nun, schau, ich habe zum ersten Mal die Veränderung in meinem Portemonnaie und meinem Haushaltsbudget gespürt, nach Europas Finanzwirtschaftskrise, die gewiss nicht ich verursacht habe!

Natürlich – fuhr Vater fort – die Krise haben die Bankoligarchen heraufbeschworen, gemeinsam mit den politischen Eliten. Heute haben die Politiker solche Privilegien, als ob sie den feudalen Glanz in ihre Augen zurückholten. Und keiner kann ihnen etwas anhaben.

Na, sie haben die Polizei und die Armee, die sie vor dem hungrigen und unzufriedenen Volk schützt – sagte Großvater.

Ihr zwei könnt das sehen wie ihr wollt, aber ich lebe in Deutschland, in einem Land, in dem die Wähler die Regierung auswechseln können, in dem sogar der Präsident ablösbar ist, wenn er gegen die Demokratie- und Gesetzesgrundsätze verstößt. Außerdem ist die Pressefreiheit beeindruckend, es gibt keine Unberührbaren, und das Sozial- und Gesundheitssystem verdient ebenfalls jeden Respekt. Und ich bitte euch, mir nicht jeden Urlaub in Serbien zu vergällen!

Na dann geh mit deinem pro-europäischen Triumphalismus in dieses dein Deutschland – schlug Vater mit der Hand auf den Tisch – und vergiss nicht, du bist dort nur ein Migrant mehr, und das wirst du auch immer bleiben!

Mein Sohn – versuchte Großvater, die Situation zu beschwichtigen – hast du etwa nicht verstanden, dass Amerika Europa beeinflusst! Das letzte Mal wurde in den Zeitungen berichtet, dass Amerika nicht erlauben wird, dass Snowden den Nobelpreis bekommt. Was ist das für eine Königlich Schwedische Akademie, wenn Amerika auf sie Einfluss nehmen kann?

So ist es – freute sich Vater – und ist dir etwa der Einfluss Amerikas auf die europäischen Länder nicht klar, als auf seinen Befehl hin dem Flugzeug des Präsidenten Boliviens, Morales, der Überflug über einige europäischen Länder auf der Reise aus Moskau verweigert wurde, und als es in Wien landete! Hey, sie haben 13 Stunden lang das Flugzeug des Präsidenten eines souveränen Staates durchsucht! Und du willst mir etwas von der so genannten freien und demokratischen Europäischen Union erzählen?!

Sie haben sich wie amerikanische Vasallen benommen – schlussfolgerte Großvater.

Gut, ihr zwei – wandte ich mich an Vater und Großvater – bereits entschlossen, den Tisch und die ganze Diskussion zu verlassen, die mir einseitig und sinnlos erschien – warum hasst ihr Amerika so sehr, wenn wir doch angeblich über Europa sprechen?

Da erhob sich Großvater – weil Amerika ein sündiges Land ist! Sie sind schuldbeladen, in Farbe: Sie haben Genozid an Völkern anderer Hautfarbe begangen! Die Rothäutigen haben sie in Reservaten zusammengetrieben, die Schwarzen waren für sie Sklaven, und auf die Gelbhäutigen haben sie zwei Atombomben geworfen, siehst du, darum!

Und vergiss nicht – warf Vater friedlich ein – diese drei Farben sind die Farben der Flagge deines Deutschlands…

Ich denke, dass das mehr als böswillig ist, und dass wir nicht mehr weiter polemisieren sollten – sagte ich, verließ den Esstisch und ging in mein Zimmer.
Außerdem – fügte ich hinzu, als ich an meinem Vater vorüberging – ist das Gelb auf der Deutschlandflagge kein Gelb, sondern Gold.
 

Aus dem Serbischen von Cornelia Marks